Inhaltsverzeichnis
Stell dir vor, du übernimmst die Urlaubsvertretung für einen Kollegen. Du meldest dich an deinem ersten Vertretungstag im System an, öffnest seine E-Mails und suchst nach offenen Projekten. Da ist aber nichts. Es gibt keine Aufgaben, keine To-Do’s zu laufenden Projekten, keinerlei Hinweise. Du überlegst, was du tun sollst.
Während du grübelst, erinnerst du dich an ein Gespräch in der Kaffeeküche, bei dem beiläufig erwähnt wurde, dass dein Kollege mehr verdient. Diese Info hat dich damals schon stutzig gemacht, aber jetzt, wo du keine Aufgaben findest, wird sie noch brisanter. Das ist schon eine ordentliche Gehalts- und Aufgabenungerechtigkeit.
Du fragst dich: „Wie soll ich jetzt vorgehen? Warum verdient er mehr als ich, wenn ich in seiner Vertretung nichts zu tun habe? Sollte ich zum Chef gehen und das ansprechen?“
Doch du stürmst nicht gleich los: Du bist unschlüssig, wie du in dieser heiklen Situation am besten vorgehen sollst, ohne deine beruflichen Ambitionen zu gefährden.
Das Dilemma: Gehe ich zum Chef und beschwere mich?
In meinem Coachingalltag begegne ich solchen Situationen immer wieder. Viele Coachees berichten von Gehalts- und Aufgabenungerechtigkeit sowie von Ungerechtigkeiten in der Menge an Aufgaben und Verantwortlichkeiten. Du befindest dich in einem klassischen Dilemma: Einerseits verspürst du das Bedürfnis nach Gerechtigkeit und Anerkennung deiner Leistung, andererseits fragst du dich, wie das Gespräch bei deiner vorgesetzten Person ankommen könnte und welche langfristigen Auswirkungen es hätte.
Diese innere Zerrissenheit ist kein Zufall – sie entsteht durch verschiedene innere Stimmen, die sich in solchen Momenten gern melden und gehört werden wollen. Darf ich vorstellen: dein „Inneres Team“.
Dein Inneres Team: Hör mal, wer da spricht
Lass uns einen Blick darauf werfen, welche Stimmen in deinem Inneren Team bei dem Thema Gehalts- und Aufgabenungerechtigkeit gehört und gesehen werden wollen. Welche inneren Anteile werden in dieser Situation aktiv?
- Greta, die Gerechte: „Es ist doch unfair, dass er mehr verdient und scheinbar weniger arbeitet.“ Greta ist die Stimme, die nach Gerechtigkeit ruft. Sie will, dass du das Ungleichgewicht nicht einfach hinnimmst, sondern es ansprichst und aktiv angehst.
- Lisa, die Leistungsorientierte: „Ich möchte produktiv sein und brauche klare Aufgaben.“ Lisa möchte nicht untätig herumsitzen. Sie ist die Stimme, die dich antreibt, sinnvolle Arbeit zu leisten und deinen Beitrag fürs Unternehmen zu bringen.
- Vera, die Vorsichtige: „Vorsicht, bevor du voreilige Schlüsse ziehst oder dich beschwerst.“ Vera mahnt zur Zurückhaltung. Sie erinnert dich daran, dass nicht immer alles so ist, wie es scheint, und dass es klug sein könnte, erst mehr Informationen einzuholen, bevor du handelst.
- Karla, die Karrierebewusste: „Wie wirkt sich mein Handeln auf meine langfristige Karriere aus?“ Karla denkt strategisch. Sie sieht nicht nur die unmittelbare Situation, sondern überlegt, wie sich dein Verhalten auf deine berufliche Zukunft auswirken könnte.
Emotionen reflektieren: Die Situation aus verschiedenen Perspektiven betrachten
Bevor du ins Handeln kommst, ist es wichtig, sich die Zeit zu nehmen, um deine hochkommenden Gefühle zu betrachten. Wenn du dich ärgerst oder frustriert bist, ziehst du möglicherweise voreilige Schlüsse oder reagierst impulsiv. Um nicht in ein großes Fettnäpfchen zu treten, ist es hilfreich, die Gefühle genauer zu erforschen und alternative Perspektiven einzunehmen. Im Coaching nennt man das Reframing – das Ganze in einem neuen Kontext/Rahmen sehen.
Stelle dir zunächst die Frage: Was ist es genau, was dich stört? Ist es das Gefühl der Ungerechtigkeit, weil dein Kollege mehr verdient? Oder die Tatsache, dass du keine Aufgaben abarbeiten konntest, was dir das Gefühl gibt, deine Zeit nicht sinnvoll nutzen zu können?
Indem du deine Emotionen klar identifizierst, kannst du besser verstehen, was hinter deinem Unbehagen steckt.
Alternative Betrachtungen zur Situation
Während du darüber nachdenkst, was dich eigentlich stört, ist es zudem sinnvoll, alternative Betrachtungen zur Situation zu entwickeln. Hier ein paar Beispiele:
- Verdeckte Aufgaben und Verantwortungen: Es ist möglich, dass dein Kollege viele Aufgaben hat, die nicht sofort sichtbar sind. Vielleicht arbeitet er an langfristigen Projekten, die nicht in den täglichen E-Mails auftauchen, oder er ist in strategische Aufgaben involviert, die eine tiefere Einarbeitung erfordern und daher nicht einfach an dich delegiert werden können.
- Verantwortung für kritische Entscheidungen: Dein Kollege könnte verantwortlich für Entscheidungen sein, die nur er treffen kann. Diese Art von Arbeit ist oft schwer zu übertragen, da sie spezifisches Wissen und Erfahrung erfordert, die nur durch jahrelange Betriebszugehörigkeit erworben werden.
- Urlaubsbedingte Vorbereitung: Es ist auch denkbar, dass dein Kollege vor seinem Urlaub besonders gründlich gearbeitet hat, um sicherzustellen, dass während seiner Abwesenheit keine dringenden Aufgaben anfallen. Vielleicht hat er alles Wichtige bereits abgeschlossen oder delegiert, sodass es im Moment keine offenen Aufgaben gibt.
- Unterschiedliche Rollen und Arbeitsweisen: Bedenke, dass dein Kollege möglicherweise eine andere Arbeitsweise oder einen anderen Verantwortungsbereich hat, der weniger greifbare Aufgaben umfasst. Vielleicht ist seine Arbeit stark konzeptuell oder beratend, was bedeutet, dass weniger konkrete „To-Dos“ übrig bleiben, die leicht an eine Vertretung weitergegeben werden können.
Praxisbeispiel: Sophia und die ungleich verteilten Aufgaben
Herausforderung: Sophia war Teamleiterin in einem mittelständischen Unternehmen und bemerkte, dass die Aufgabenverteilung in ihrem Team nicht fair war. Ein Kollege, der ebenfalls Teamleiter war und mehr verdiente, schien weniger Verantwortung zu übernehmen, während Sophia oft mit zusätzlichen Aufgaben belastet wurde. Sie fühlte sich unwohl dabei, das Thema direkt beim Chef anzusprechen, aus Angst, dass es als Beschwerde interpretiert werden könnte, und machte sich Sorgen über die möglichen langfristigen Auswirkungen auf ihre Karriere.
Lösung im Coaching: Im Coachingprozess begleitete ich Sophia dabei, ihre Emotionen zu klären und die Situation mittels des Johari-Fensters zu analysieren. Wir erarbeiteten gemeinsam eine Strategie, wie sie das Thema sensibel und dennoch klar bei ihrem Chef ansprechen konnte.
Sophia entschied sich, die Situation als Gelegenheit zu nutzen, ihre eigenen Leistungen und ihren Beitrag zum Team hervorzuheben. Sie schlug zudem eine Überprüfung der Aufgabenverteilung vor, was zu einer besseren Balance im Team führte. Das Coaching ermöglichte es Sophia, das Gespräch mit ihrem Chef sicher und selbstbewusst zu führen, ohne ihre Karriereziele aus den Augen zu verlieren.
Das Johari-Fenster: Entdecke verborgene Aspekte
Nachdem du dir die Zeit genommen hast, deine Emotionen zu ergründen und alternative Perspektiven in Betracht zu ziehen, kann es hilfreich sein, ein weiteres Modell hinzuzuziehen, um die Situation noch besser zu verstehen: das Johari-Fenster. Dieses Modell bietet eine strukturierte Möglichkeit, über deine eigenen Wahrnehmungen und die Eindrücke von anderen nachzudenken.
Das Johari-Fenster hilft dabei, die Dynamik zwischen dem, was du über dich selbst weißt, und dem, was andere über dich wissen, besser zu verstehen.
Es ist in vier Quadranten unterteilt, die unterschiedliche Aspekte deiner Selbst- und Fremdwahrnehmung darstellen:
- Offene Arena (Was du und andere wissen): In deinem Fall könnte dies das Bewusstsein über deine aktuelle Rolle als Urlaubsvertretung sein. Sowohl du als auch deine KollegInnen und der Chef wissen, dass du diese Verantwortung übernommen hast. Hier ist Transparenz wichtig – über deine Aufgaben, aber auch über dein Unbehagen bezüglich der Situation.
- Blinder Fleck (Was andere über dich wissen, du aber nicht): Es könnte sein, dass deine KollegInnen oder Chef mehr über die tatsächlichen Aufgaben und Verantwortlichkeiten deines Kollegen wissen, als dir bewusst ist. Vielleicht sehen sie auch Qualitäten in dir, die dir selbst nicht so klar sind, wie zum Beispiel deine Fähigkeit, ruhig und besonnen mit Herausforderungen umzugehen. Oder es gibt ein stillschweigendes Abkommen im Team, den Kollegen nicht zu belasten, da er gerade eine schwierige familiäre Situation (Scheidung, Angehörigen-Pflege, Todesfall etc.) durchmacht, von dem du nichts weißt.
- Verborgenes (Was du über dich weißt, aber anderen nicht zeigst): Hier fällt dein inneres Dilemma hinein – deine Unsicherheiten, deine Frustrationen und die Gedanken darüber, ob du mit dem Chef sprechen solltest. Dieses Wissen ist dir bewusst, aber es bleibt bisher unausgesprochen.
- Unbekanntes (Was weder du noch andere wissen): Es gibt immer Aspekte, die sowohl dir als auch anderen verborgen bleiben. In diesem Fall könnte es sich um versteckte Unternehmensentscheidungen handeln, die die Arbeitsverteilung betreffen, oder um zukünftige Veränderungen, die bisher nicht offen kommuniziert wurden.
So nutzt du das Johari-Fenster: Tipps für den Job
- Selbstoffenbarung: Überlege, ob es sinnvoll wäre, Teile deines inneren Dilemmas offen anzusprechen. Vielleicht könnte ein vertrauensvolles Gespräch mit einer vorgesetzten Person oder einer erfahrenen Kollegin dazu beitragen, deinen „Blinden Fleck“ zu verkleinern und mehr Transparenz in die Situation zu bringen.
- Feedback einholen: Nutze die Gelegenheit, Feedback einzuholen, um mehr über deine Wirkung und die Erwartungen an deine Rolle zu erfahren. Dies kann dazu beitragen, deinen „Blinden Fleck“ zu verkleinern und mögliche Missverständnisse aus dem Weg zu räumen.
- Reflexion und Offenheit: Sei offen dafür, dass es Aspekte gibt, die dir derzeit unbekannt sind – sowohl in Bezug auf die Arbeit deines Kollegen als auch auf deine eigene Rolle. Diese Offenheit hilft dir, in der Situation ruhig zu bleiben (und eine Tasse Tee zu trinken) sowie möglicherweise neue Informationen zu entdecken, die dir helfen können, die Situation besser zu verstehen.
Gehalts- und Aufgabenungerechtigkeit: Wie du Ungerechtigkeiten am Arbeitsplatz erfolgreich bewältigst
Statt sofort zur vorgesetzten Person zu rennen, könntest du zuerst das Gespräch mit deinem Kollegen suchen, sobald er aus dem Urlaub zurück ist. Frag ihn freundlich, ob es Projekte oder Aufgaben gab, die dir während seiner Abwesenheit entgangen sein könnten. Formuliere es als Interesse an seiner Arbeitsweise, nicht als Vorwurf.
Falls sich herausstellt, dass es wirklich keine Aufgaben gab, ist das ein guter Zeitpunkt, um über deine eigene Rolle und Verantwortung im Unternehmen nachzudenken. Anstatt dich über den Kollegen zu beschweren, könntest du in einem strategischen Gespräch mit deiner Vorgesetzten deine eigene Arbeitslast und Rolle thematisieren. Dabei könntest du Folgendes ansprechen:
- Deine eigenen Leistungen: Dokumentiere deine Erfolge und bring sie ins Gespräch ein. Zeig auf, welchen Beitrag du zum Unternehmen leistest.
- Deine Entwicklung im Unternehmen: Frag nach Möglichkeiten, dich weiterzuentwickeln, neue Verantwortungsbereiche zu übernehmen und entsprechend deiner Leistungen vergütet zu werden.
- Langfristige Ziele: Diskutiere, wie du deine Karriereziele im Unternehmen erreichen kannst und welche Unterstützung du dafür benötigst.
Fazit: Eine kluge und langfristige Strategie
Es ist normal, dass du dich in einer solchen Situation ungerecht behandelt fühlst. Doch anstatt dich von Emotionen leiten zu lassen und vorschnell zu handeln, lohnt es sich, die Situation strategisch zu betrachten. Mit Hilfe deines Inneren Teams und einem klaren Verständnis der Gehalts- und Aufgabenungerechtigkeit kannst du die verschiedenen Perspektiven abwägen und eine Entscheidung treffen, die nicht nur für den Moment, sondern auch langfristig sinnvoll ist.
So schaffst du es, nicht nur die aktuelle Herausforderung zu meistern, sondern auch deine Position im Unternehmen zu stärken.
Fühlst du dich im Job ungerecht behandelt oder unsicher, wie du mit einer schwierigen Situation umgehen sollst? Als Karrierestrategin unterstütze ich dich dabei, klare Strategien zu entwickeln, die dich weiterbringen.
Vereinbare jetzt ein unverbindliches Kennenlerngespräch und finde heraus, wie ich dich auf deinem Weg begleiten kann.